Kunst
Zak van Biljon - Modernising Nature
Galerie 94, Baden
Um einen unverbrauchten Blick auf die Schönheiten der Natur zu erhalten, ging Zak van Biljon über das sichtbare Spektrum hinaus. Das Ergebnis sind Bilder von einer unerhörten Lebendigkeit.
Abseits der gewohnten Pfade
Eine Einführung in Zak van Biljons Serie Modernising Nature
Leuchtend rote Bergwälder, fluoreszierend pinke Hochweiden und violett schimmernde Alpentäler – in der seit 2013 fortlaufenden Serie Modernising Nature präsentiert uns Zak van Biljon die Schweizer Bergwelt in einem alternativen Farbspektrum. Anstelle schematischer Vorstellungen von „dunkle[n] Tannen [und] grüne[n] Wiesen im Sonnenschein“, wie sie in der ikonischen Kinderserie Heidi illustriert wurden, werden wir von Landschaftsbildern in knalligen Rot-, Pink- und Violetttönen unterschiedlichster Sättigung überrascht. Unser nostalgischer heimatlicher Blick auf die Schweizer Alpenregion mit ihren markanten Bergspitzen und sagenhaften Ausblicken wird entfremdet. Nach anfänglicher – kurzer aber intensiver – Irritation, entfesseln die Farben ihre Anziehungskraft wie ein Magnet. Wie Nachtfalter, angezogen vom hellen Flackern einer Flamme, tauchen wir in die verführerisch strahlenden Szenerien von Modernising Nature ein. Und trotzdem erschliesst sich uns die Frage nicht, woher das ungewohnte Kolorit der Berglandschaften wohl stammt: handelt es sich schlichtweg um digitale Manipulation?
Tatsächlich sehen wir ein ‚geheimes‘, für das menschliche Auge unsichtbares Spektrum, das uns Van Biljon mithilfe von Nah-Infrarotfotografie offenbart. Diese Technik, mit der er seit 2009 arbeitet, existiert sowohl in analoger als auch digitaler Form. Sie erfasst nahe Infrarotwellenlängen, die besonders von pflanzlicher Materie reflektiert werden. Mit anderen Worten verwandelt Van Biljons fotografischer Prozess alles, was uns in der Natur grün erscheint, künstlerisch in eine komplementäre Farbpalette. Die ersten Infrarot-Filmrollen kamen zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Markt, wo sie vor allem in militärischen Kontexten Verwendung fanden – beispielsweise zum Aufspüren getarnter Objekte im Gelände. Nebst der digitalen Technologie hütet und nutzt Van Biljon als akribischer Sammler und Fotograf eine Handvoll verbliebener historischer Filmrollen, die mittlerweile zu stillen Zeitzeugen einer vergangenen Ära geworden sind. Doch wie prägt nun diese Technik aus den Reihen der ›Falschfarbenfotografie‹ unseren Blick auf die natürliche Welt? Und inwiefern vermag sie unsere Wahrnehmung zu modernisieren?
Unter anderem lädt die ungewohnte Farberscheinung dazu ein, die symbolische Bedeutung der Farben Rot, Magenta, Purpur oder Violett zu reflektieren. Sozialhistorisch sind diese zum Beispiel mit Vorstellungen von Macht und Autorität, aber auch mit Bewunderung und Verführung verbunden, denn sie kennzeichnen nicht nur die Roben von Königen und Kardinälen, sondern ebenso die Lippen von Filmdiven. In der Natur werden ebendiese Farbtöne mit zahlreichen biologisch-evolutionären Konzepten assoziiert, wie etwa (Warn-)Signalen oder Blut, die Kraft, Vitalität und Lebenszyklen ausdrücken. Insofern unterliegen die Farben in den Fotografien von Modernising Nature, die von verführerischem Violett, über romantisches Rosa bis zu berauschendem Rot reichen, verschiedenen Anschauungen und Wahrnehmungsprozessen, deren Interpretation genauso subjektiv ist wie ihre emotionale Wirkung. Die Kuratorin Pamela Roberts schreibt dazu: „Trotz der naturgegebenen Gesetzmässigkeiten ist die Farbwahrnehmung subjektiv. Wir alle sehen Farben unterschiedlich: mein Blaugrün ist vielleicht Grünblau für Sie, mein Rosaviolett scheint Ihnen Helllila. Selbst zwei Augen in ein und demselben Kopf können unterschiedliche ‚Lesearten‘ liefern.“ Die zentrale Lesart von Modernising Nature wird speziell über die visuelle Intensität der präsentierten Farben gelenkt, da diese Töne unvermeidlich unsere Aufmerksamkeit erregen und unsere Affekte beeinflussen, sei es in der menschengemachten, natürlichen oder eben künstlerischen Welt.
Diese Form der Aufmerksamkeit instrumentalisiert und dekonstruiert Van Biljon bewusst. Während Roland Barthes‘ Auffassung, dass Farbfotografie ein Trugbild der Unwahrheit darstellt und die vermeintliche ›Wahrheit‹ des Schwarz-Weiss verzerrt, längst überholt ist, haftet insbesondere übertrieben knalligen Farbtönen in der Fotografie nach wie vor das Vorurteil an, ein abwertendes und kommerzialisiertes Massenmedium zu sein. Ein Blick in die sozialen Netzwerke, wo bis zur Unkenntlichkeit gefilterte Schnappschüsse von Bergseen und Blumenwiesen unsere Aufmerksamkeitsökonomie dominieren, scheint diese Annahme zu bestätigen. Vor diesem Hintergrund stellt Van Biljon mittels des Einsatzes der Nah-Infrarottechnik ebendiese Auffassung von Künstlichkeit, Kommerz und Kitsch in der Natur- und Landschaftsfotografie infrage. Indem er weltbekannte Bergikonen und einheimische, behütete Lieblingsorte – vom Walliser Matterhorn bis zum Appenzeller Seealpsee – fotografiert, mündet unsere Wahrnehmung in einer Seherfahrung, die uns in der gegenwärtigen Zeit, getrieben von Schnelligkeit und Digitalisierung, zumeist verwehrt bleibt. Das Resultat ist eine subjektive Fokussierung auf die fotografierte Natur. Im Gegensatz zu Naturszenen, die mithilfe kosmetischer Instagram-Filter überschrieben wurden, erstarken Van Biljons Fotografien als direkte Zugänge auf die naturbelassenen Schönheiten unserer Gegenwart. Unser Blick wird entschleunigt. Dank der Komplementärfarben wird unsere gewohnte Sichtweise herausgefordert und wir erhalten eine mögliche Antwort auf die Frage, wie wir unseren Zugang zur Natur nicht nur rehabilitieren und versöhnen, sondern möglicherweise auch erweitern können. Die Grenzen zwischen Menschen, Natur, Wissenschaft und Technologie verschwimmen und vereinen sich schliesslich im kaleidoskopischen Infrarotkosmos von Modernising Nature, der auch nun erstmals in Buchform vorliegt.
Text: Gwendolyn Fässler
Datum
29.8.2025 bis 11.10.2025
jeweils Mi bis Fr 17:00 - 19:00 Uhr
jeweils Sa 13:00 - 17:00 Uhr
Oder nach Vereinbarung.
Adresse
Galerie 94
Merker-Areal
Bruggerstrasse 37
5400 Baden
Kontakt
Galerie 94
Sascha Laue
Merker-Areal
Bruggerstrasse 37
5400 Baden
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+41 79 416 92 43
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